Die Arbeit einer Polizeipsychologin
Jennifer Heuschling klärt über die psychische Belastung von Polizisten auf
Polizeipsychologin Jennifer Heuschling hat es sich zur Aufgabe gemacht, Themen wie Burnout, traumatischer Stress und Suizid im offenen Gespräch mit den Polizisten zu enttabuisieren.
Foto: Guy Wolff
Von Cindy Bleser
Später Nachmittag auf einer hauptstädtischen Polizeiwache. Ein Notruf aufgeregter Nachbarn trifft ein. Sie melden einen lauten Familienstreit. Über Funk werden zwei Streifenpolizisten mit dem Fall betraut. Vor Ort klingeln sie und wissen nicht, was sie erwartet, wenn sich die Tür öffnet. Von drinnen hören sie ein lautes Poltern, dann wird die Tür mit einem Ruck aufgerissen.
Vor ihnen steht ein Mann, der am ganzen Körper bebt. Im Wohnzimmer liegen überall auf dem Boden verstreut Gegenstände. Aus dem Nebenzimmer dringt ein ersticktes Schluchzen. Während ein Polizist den Mann ihn Schach hält und versucht, ihm verwertbare Aussagen zu entlocken, redet sein Kollege beruhigend auf eine völlige aufgelöste Frau im Schlafzimmer ein. Nach dem Blick auf die Platzwunde am Kopf ist klar, dass er den Notarzt verständigen muss. Der Ehemann merkt, dass er sich nicht mehr aus der Lage herausreden kann und wird handgreiflich. Der Einsatz endet mit einem kurzen Handgemenge und einer Festnahme.
So könnte laut Polizeipsychologin Jennifer Heuschling ein Übungseinsatz bei häuslicher Gewalt für Polizeischüler aussehen. Die 30-Jährige ist klinische Psychologin und arbeitet seit vier Jahren bei der Polizei. In ihrem Büro stapeln sich fein säuberlich Bücher über Kriminologie und Forensik. Zu diesen Themen hat sie schon während ihres Studiums in Basel zahlreiche Seminare besucht.
Rollenspiele mit Schauspielern
Eines ihrer wichtigsten Aufgabenfelder umfasst die Aus- und Weiterbildung von Polizeibeamten. Bereits im ersten Jahr der dreijährigen Ausbildung wird den angehenden Polizisten psychologisches Basiswissen vermittelt. „Das ist sehr wichtig, da Polizisten für Bürger in Problemsituationen oftmals der erste Ansprechpartner sind. Es geht dabei häufiger um das Schlichten von Konflikten, als um die reine Kriminalitätsbekämpfung“, sagt Heuschling. Deshalb gibt es an der Polizeischule Pflichtseminare zu Konfliktmanagement, Opferhilfe und dem richtigen Umgang mit den Anliegen der Bürger.
Das Lernen im Klassenraum ist die eine Sache, das Umsetzen auf dem Terrain eine andere. Nach dem Theorieteil folgt ein Praxistraining mit Rollenspielen. Die Polizei arbeitet dabei mit erfahrenen Schauspielern zusammen, die in wirklichkeitsgetreuen Szenen die Schüler gründlich auf die Probe stellen. Diese fiktiven Einsätze sind aber Situationen, denen ein Polizist im Alltag häufig begegnet, zum Beispiel häusliche Gewalt, das Überbringen einer Todesnachricht oder der Umgang mit stark alkoholisierten Personen. Das Ganze ereignet sich vor laufender Videokamera. Später kann Heuschling vor versammelter Klasse die Ergebnisse zeigen und gemeinsam besprechen.
Foto: Guy Wolff
„Ich denke, dass es sehr wichtig ist, die Schüler nicht nur physisch, sondern auch mental auf ihre Einsätze vorzubereiten. Viele Schüler geben uns die Rückmeldung, dass sie während des Einsatzes vergessen hätten, dass es sich nur um eine Übung handelt. Das hilft ihnen dabei, die gelernte Theorie in die Praxis umzusetzen“, fasst die Polizeipsychologin die Vorteile dieser Methode zusammen. Der Beruf des Polizeipsychologen ist sehr vielseitig. In Luxemburg gibt es neben Jennifer Heuschling lediglich eine weitere Person in dieser Position. Sie und ihr Kollege Marc Stein kümmern sich zusammen um die Personalauswahl, die Aus- und Weiterbildung der Polizeibeamten, bieten ihnen psychologische Unterstützung und beraten die Ermittler auf Anfrage bei ihren Fällen.
Ideal des immer starken Polizisten
Für Heuschling ist die Frage nach der psychischen Belastung der Polizisten in ihrem Arbeitsalltag und der Umgang damit von zentraler Bedeutung. 2015 führte sie eine entsprechende Studie durch. Sie stellte fest, dass es stark vom subjektiven Empfinden abhängt, ob eine Situation den Polizisten zusetzt oder nicht.
Polizeibeamten werden im Laufe ihrer Karriere viel häufiger mit unangenehmen Situationen konfrontiert als Außenstehende, können sich ihnen berufsbedingt aber nicht entziehen: Tod, Unfälle mit schweren Verletzungen, harte Fälle von Gewalt, aber auch Gewalt, die ihnen selbst entgegengebracht wird. „Und trotzdem wird von ihnen erwartet, dass sie nach außen hin stark sind und alles wegstecken. Das ist paradox!“, sagt Heuschling und schüttelt den Kopf. „Man muss auch immer den Menschen hinter der Uniform mitbedenken.“ Dieses Ideal sei immer noch sehr stark verbreitet, was dazu führe, dass Polizisten in schwierigen Situationen auf Hilfe verzichten, die sie aber für Außenstehende als legitim erachten.
Zu ihrer Erleichterung stellt Heuschling aber fest, dass immer mehr Beamte mit ihren Anliegen zu ihr kommen. Das deckt sich auch mit den Ergebnissen ihrer Studie. Über 70 Prozent der Befragten bestätigten, dass sie im Falle eines Problems die psychologische Beratung kontaktieren würden. Die Polizeipsychologen gehen bei der Betreuung der Beamten sehr proaktiv vor.
Wenn sie erfahren, dass etwas Schlimmes passiert ist, zum Beispiel ein Unfall bei dem Kinder involviert sind, schreiben sie die Personen, die bei dem Vorfall im Einsatz waren, direkt an. Auch Polizisten können nach einem einschneidenden Erlebnis nicht einfach zur Tagesordnung übergehen. Daneben bieten die Psychologen auch regelmäßig Weiterbildungen an, um über Themen wie Burnout, traumatischer Stress und Suizid aufzuklären und diese bei den Polizisten zu enttabuisieren.
Die Aus- und Weiterbildungen bieten zwar einen Rahmen mit regelmäßigen Terminen, aber ansonsten weiß Jennifer Heuschling nicht, was sie den Rest der Woche über erwartet. Genau das macht ihren Beruf für sie so spannend. Wenn das Telefon klingelt und sie Bereitschaft hat, ist sie genau wie die Polizisten selbst, sofort zur Stelle.