In Luxemburgs größter Veranstaltungsarena in Esch-Belval wurde am Samstag der Ernstfall geprobt: ein Anschlag auf ein Konzert. Bilanz laut Szenario: 500 Verletzte und 100 Todesopfer
Von Steve Remesch Ausgangslage: Samstag, 10.30 Uhr, ein DJ-Auftritt mit mehr als 1.000 Besuchern in der Rockhal. Im Innern unbemerkt, nähern sich kurz nach 11 Uhr fünf Männer dem Gebäude. Einer sprengt sich vor dem Eingang mit einem Sprengstoffgürtel in die Luft. Vier weitere eröffnen mit Schnellfeuergewehren das Feuer auf Menschen.
„Mitten im Konzert kamen auf einmal bewaffnete Männer in den Saal“, erzählt Paul, einer von weit mehr als 1 000 Statisten bei der Terrorübung am Samstag in der Rockhal. „Sie drangen von zwei Seiten ein und haben einfach nicht mehr aufgehört, um sich zu schießen. Magazin für Magazin leerten sie in die Menschenmenge. Es war sehr deutlich, dass es ihnen darum ging, so viele Menschen wie möglich zu töten.“
Dass das Szenario an jenes vom Massaker am 13. November 2015 im Pariser Konzertsaal Bataclan erinnert, ist kein Zufall. Genau darum geht es nämlich. Einen Terroranschlag zu simulieren, bei dem rund hundert Menschen getötet und 500 weitere verletzt werden. Es gibt Pläne, wie die Behörden im Ernstfall zu reagieren haben. Doch das ist Theorie. Eine realitätsnahe Übung soll nun dabei helfen, die Schwachstellen auszuloten und den Einsatz und die Koordination von Polizei- und Rettungskräften sowie die Versorgungskette dahinter zu verbessern.Massaker im Bataclan-Theater (Wikipedia)
Für die Statisten und die Täter gab es ein vorgefertigtes und individuelles Szenario. Für die Einsatzkräfte nicht. Diese mussten zuerst die Situation einschätzen und sich dann daran und an die teils unvorhersehbaren Entwicklungen anpassen.
Paul, der Statist, zählt zur Gruppe der Konzertbesucher. Er ist unverletzt und soll sich im Gebäude der Rockhal verstecken, bis Polizei oder Rettungskräfte ihn evakuieren. Obwohl gewusst war, dass es irgendwann während des Auftritts des DJs zu einem Angriff kommen würde, sei dieser dann doch überraschend, erzählt er. „Obwohl es eine Übung war, hat die realistische Inszenierung schnell Oberhand bekommen. Die Schüsse wirkten real, auch wenn es Platzpatronen waren. Es kam kurz etwas Panik auf. Jeder hatte seine Rolle zu spielen.“
Er sei kurz durch den Eindruck der Schüsse überwältigt gewesen, habe sich dann aber sofort, wie in seinem Szenario vorgesehen, ein Versteck gesucht. Das fand er schließlich unter einer Treppe in der Eingangshalle, wo er sich schließlich gemeinsam mit ein paar Security-Mitarbeiten unter Vorhängen versteckte.
„Nach etwa 20 Minuten kamen erste Polizisten und begannen, den Eingangsbereich zu sichern“, erzählt Paul. „Die haben versucht, die Terroristen zurückzudrängen und die Menschen einzeln rauszuholen.“
Der 19-Jährige ist selbst bei der freiwilligen Feuerwehr im nahen französischen Grenzgebiet engagiert. „Für mich ist diese Übung eine sehr wichtige Erfahrung“, betont er. „Ich bin es zumeist, der anderen Menschen in Not hilft. Aber den Stress, die Panik und die überwältigenden Gefühle, die ein Opfer durchlebt, bevor wir zu ihm kommen, kennen wir ja eigentlich nicht. Nun habe ich es auch selber einmal erlebt.“
Im Übungsszenario werden die Überlebenden zunächst versammelt und dann möglichst schnell die Verletzten von den Unverletzten getrennt. Die Verletzten kommen zu einem Post médical avancé, ein Feldlazarett in einem gesicherten Bereich, wo sie von Ärzten versorgt und die Schwere ihrer Blessuren erfasst wird. Im Anschluss werden sie an Krankenhäuser verteilt.
„In diesem Szenario haben wir es mit vielen sehr schweren Verletzungen zu tun, welche ja von regelrechten Kriegswaffen stammen“, erklärt Pascal Stammet. Er ist Directeur médical et de la santé beim CGDIS. „Viele der Verletzten müssen sehr schnell in ein Krankenhaus gebracht werden.“
Die Rettungskräfte sind den Umgang mit einem oder vielleicht mehreren Patienten gewohnt. Hier gibt es aber eine Vielzahl von Opfern. „Während sich üblicherweise vier oder fünf Retter um einen Patienten kümmern, ist es hier genau umgekehrt“, erläutert Pascal Stammet. „Hier gibt es eine ganz andere Logik. Ein Arzt, Krankenpfleger oder Sanitäter muss gleichzeitig vier oder fünf Opfer versorgen.“ erletzten müssen sehr schnell in ein Krankenhaus gebracht werden.“
Insgesamt waren am Samstag etwa 300 Rettungskräfte, davon rund 100 aus dem französischen und dem belgischen Grenzgebiet, an der Übung beteiligt.
Hauptanlaufstelle für die Verletzten war das Centre hospitalier Emile Mayrisch in Esch. Hier bestand die erste Herausforderung zunächst einmal darin, Personal zu mobilisieren und dann Kapazitäten für die Aufnahme der Verletzten zu schaffen.
„Bei einem Vorfall wie diesem gilt das vor allem im Operations- und im intensivmedizinischem Bereich“, erklärt Yves Goergen, Coordinateur processus soins im CHEM. „Die gesamte Denkweise ist anders als im Alltag. Hier muss vor allem beachtet werden, dass wir uns in unserer Arbeit nicht selbst behindern. Das Vorgehen muss fließend erfolgen, von der Aufnahme und der Versorgung bis zur Behandlung im Operationssaal.“ Konkret wurden im CHEM Kapazitäten für Opfer in zehn Operationssälen gleichzeitig geschaffen.
Nach der Übung zeigte sich Pascal Peters, Verantwortlicher für die Organisation aufseiten der Polizei, zufrieden mit deren Verlauf. „Die Prozeduren für solche Lagen sind ja bereits im Vorfeld ausgearbeitet worden. Wir konnten feststellen, dass diese sehr schnell gegriffen haben und die chaotische Phase bereits nach sehr kurzer Zeit beendet war.“ Erst dann können nämlich Rettungskräfte in einem gesicherten Umfeld die Versorgung der Opfer übernehmen.
Gleich am Samstagabend gab es ein erstes Debriefing mit allen beteiligten Diensten. Ein weiterer soll in einer Woche folgen. Die Erkenntnisse werden in die ständig überarbeiteten Prozeduren des Haut commissariat à la protection nationale einfließen.
Das Hochkommissariat für nationale Sicherheit war bereits im Mai mit der Planung der Übung beauftragt worden. Intensiv wurde während vier Monaten am Szenario gearbeitet, erklärt Luc Feller. „Die Pläne und Prozeduren werden gemeinsam mit jenen Verwaltungen aufgestellt, die betroffen sind. Pläne sind aber immer in einer ersten Phase einmal reine Theorie. Deshalb ist es extrem wichtig, die Möglichkeit zu haben, solche praktischen Übungen zu organisieren. So kann dann geprüft werden, ob diese Pläne auch in der Realität funktionieren oder ob Änderungen erforderlich sind.“
Klar ist, dass es weitere derartige Übungen geben wird. Was, wann und wo, darüber bewahren die Verantwortlichen allerdings Stillschweigen.