Steve REMESCH
Foto: Rosa Clemente / LW-Archiv Die fatalen Schüsse waren am Nachmittag des 11. April an der Ecke der hauptstädtischen Rue Sigismond mit der Rue des Ardennes gefallen.
Die Anklageerhebung gegen den Polizisten, der nach einem tödlichen Schuss in vermeintlicher Notwehr nun unter Tötungsanklage steht, ist nicht zwangsläufig ein Hinweis auf ein Fehlverhalten.
Die Pressemitteilung der Justiz am späten Freitagnachmittag war
eine Überraschung: Der Untersuchungsrichter hat Anklage gegen den
Polizisten erhoben, der im April 2018 bei einer Verkehrskontrolle in
Bonneweg einen 51-jährigen Mann erschossen hat. Die Beschuldigungen
lauten sowohl auf absichtliche Tötung als auch auf absichtliche
Körperverletzung.
Der Hintergrund
Am 11. April 2018 will eine Streifenwagenbesatzung in Bonneweg einen Autofahrer überprüfen, dessen Wagen zur Fahndung ausgeschrieben ist. Doch der Fahrer widersetzt sich. Als er seinen Wagen auf einen Polizeibeamten zusteuert, schießt dieser mindestens zweimal auf das Auto. Der Fahrer wird von einer Kugel getroffen und stirbt kurze Zeit später.
Für den Anwalt des Polizisten ist dies ein absehbarer Schritt, den der Untersuchungsrichter gehen kann, aber nicht muss. „Es hat jemand geschossen und es ist dabei jemand anderes gestorben“, erklärt Me Philippe Penning im Gespräch mit dem „Luxemburger Wort“. „Demnach sind alle Elemente vorhanden, die zu diesen Beschuldigungen gehören.“
Knackpunkt Notwehr
Für Außenstehende könnte sich daraus der Schluss ergeben, dass der Grund für die Anklage der sein könnte, dass der Polizist entgegen der bisherigen Annahme nicht bei jedem der abgegebenen Schüsse in Notwehr gehandelt hat. Doch das ist nur eine von mehreren möglichen Erklärungen.
„Das Vorgehen des Untersuchungsrichters zeigt vielmehr, dass man den Fall nicht einfach unter den Teppich kehren will“, betont Me Penning. „Das ist bei der Schwere des Vorfalls – es ist ein Mensch gestorben – nicht ungewöhnlich. Ich gehe davon aus, dass der Untersuchungsrichter jeglichen Zweifel ausräumen und die Entscheidung, ob es nun Notwehr war oder nicht, einem Richter überlassen will.“
Ein Vorteil für den Angeklagten
Die Anklageerhebung ist darüber hinaus auch nicht unbedingt von Nachteil für den beschuldigten Polizisten und dessen Verteidiger. Denn erst nach der offiziellen Anklageerhebung bekommen sie Zugang zur Ermittlungsakte. Erst jetzt erfahren sie im Detail, was die Ermittlungen der Polizeiinspektion ergeben haben.
Tödliche Schüsse in Bonneweg: Polizist unter Anklage
Das ist es, was es dem beschuldigten Polizisten überhaupt erst ermöglicht, sich zu verteidigen und zu beweisen, dass er in Notwehr gehandelt hat. Dazu gehört auch, dass die Verteidigung nun selbst Anträge stellen kann, etwa zu weiteren Untersuchungen und Überprüfungen, welche den Angeklagten entlasten können.
Wenn der Untersuchungsrichter seine Ermittlungen abgeschlossen hat, gibt er das Dossier an die Staatsanwaltschaft weiter. Diese wird dann ihre eigenen Schlussfolgerungen ziehen und gegebenenfalls einen Prozess anstrengen. Ob es dazu kommt, und, wenn ja, mit welchen Anklagepunkten, entscheidet eine Ratskammer. Über Schuld oder Unschuld entscheiden dann, falls es dazu kommt, die Richter einer Straf- oder einer Kriminalkammer.
Warum Contrôle judiciaire?
Eine Sache stößt dem Anwalt Philippe Penning beim Vorgehen des Untersuchungsrichters aber dennoch etwas bitter auf. „Warum hat er meinen Mandanten unter Contrôle judiciaire gesetzt?“, fragt er. Das bedeutet nämlich, dass der Beschuldigte eine Reihe von Auflagen erfüllen muss, um einer Untersuchungshaft zu entgehen.
„Warum gerade jetzt?“, fragt Penning weiter. „Wenn diese Maßnahme
gleich zu Beginn des Verfahrens ergriffen worden wäre, dann würde das
vielleicht einen gewissen Sinn ergeben. Aber jetzt, nach elf Monaten,
nicht.“
Gummiparagrafen
Das sagt das Gesetz zu Schusswaffengebrauch und Notwehr
Das Gesetz zum polizeilichen Schusswaffengebrauch und auch jenes zur
Notwehr sind das, was Anwälte gerne als Kaugummi bezeichnen. Sie sind
derart vage gehalten, dass sie recht dehnbar sind.
So besagt das
Gesetz vom 28. Juli 1978 zum Gebrauch von Waffen und anderen
Zwangsmaßnahmen durch die Sicherheitskräfte bei der
Kriminalitätsbekämpfung schlicht und einfach, dass diese ihre Waffen im
Falle von absoluter Notwendigkeit benutzen dürfen. Der vierseitige
Gesetzestext legt zwar fest, in welchen Situationen wer welche Waffe
einsetzen darf, bestimmt aber beispielsweise nicht, wann die
Grundvoraussetzung der absoluten Notwendigkeit erfüllt ist. Ob ein
Polizist nun eine andere Möglichkeit hatte, als auf einen Menschen zu
schießen, entscheidet im Zweifelsfall der Richter.
In etwa
vergleichbar vage gestaltet sich die Frage nach der Notwehr. Artikel 416
des Strafgesetzbuches besagt, dass eine Tötung oder eine
Körperverletzung weder ein Verbrechen noch ein Delikt ist, wenn die
Notwendigkeit der Notwehr gegeben war.
Jurisprudenz
Rezent waren zwei Polizisten wegen Schüssen verurteilt worden: Im März 2010 hatte ein Luxemburger Polizist im belgischen Grenzgebiet einen flüchtigen und vermeintlich bewaffneten Täter erschossen, als dieser sich an den Hosenbund griff. Die Waffe trug jedoch ein anderer Tatbeteiligter. Die Richter in Arlon befanden den Polizisten der vorsätzlichen Tötung für schuldig, setzten die Strafe aber aus.
Im Fall Maulusmühle hatte ein Polizist im August 2005 einem Betrunkenen bei einer Rangelei in den Kopf geschossen. Der Mann überlebte und der Polizist wurde wegen vorsätzlicher Körperverletzung zu sechs Monaten Haft auf Bewährung verurteilt.