Guy Jallay In dieser Sackgasse, in der Rue Nic Welter in Sandweiler, endete die Verfolgungsfahrt am 1. November 2010.
Steve REMESCH
Es gibt interessante Parallelen zwischen den Schüssen eines Polizisten vor einem Jahr in Bonneweg und einem anderen Fall aus dem Jahr 2010 in Sandweiler. Bei letzterem gibt es ein Gerichtsurteil.
Ein Autofahrer, der sich der Polizei widersetzt, hält auf einen
Beamten zu. Dieser sieht sein Leben bedroht und tut, was ihm als eine
absolute Notwendigkeit erscheint: Er feuert seine Dienstwaffe ab – und
trifft. Das Szenario, aufs Wesentliche reduziert, entspricht jenem, das
sich am 11. April 2018, also vor genau einem Jahr, in Bonneweg
abspielte.
Not am Mann
Es beschreibt aber auch den Tatablauf in einem Sachverhalt, der sich
in der Nacht zum 1. November 2010 in Sandweiler zutrug. Das Opfer in
Sandweiler überlebte, jenes in Bonneweg nicht. In beiden Fällen wurde
wegen der Schüsse Anklage gegen den Polizisten erhoben. Während der
Bonneweger Fall sich noch im Ermittlungsstadium befindet (das LW
berichtete), ist der Ausgang des Falls von Sandweiler bekannt. Er könnte
als Präzedenzfall zur Klärung der juristischen Folgen im Fall von
Bonneweg dienen.
Halsbrecherische Flucht vor der Polizei
In jener Nacht im November 2010 sind zwei Beamte der Verkehrspolizei mit einem Zivilfahrzeug vom Irrgarten nach Sandweiler unterwegs. In Höhe des amerikanischen Soldatenfriedhofs überholt sie ein Audi A3 mit hoher Geschwindigkeit trotz Überholverbots und doppelten Strichs auf der Fahrbahn.
Der Fall Bonneweg: Nach der Anklage
Die Polizisten nehmen die Verfolgung auf, der Fahrer beschleunigt
weiter. Eine Überprüfung per Funk ergibt, dass die Kennzeichen an dem
Wagen nicht zum Audi passen, sondern zu einem Peugeot. Die Polizisten
müssen demnach davon ausgehen, dass der Wagen mit falschen oder
gestohlenen Kennzeichen für eine Straftat benutzt wird und die Insassen
gefährlich sind. Doch die Information der Leitstelle ist falsch. Das
wird sich aber erst viel später herausstellen.
Verfolgt von der Polizei rast der Wagen mit mehr als 100 km/h durch Sandweiler. Der Fluchtfahrer versucht, die Polizisten in den Wohnvierteln abzuhängen, landet dann aber in der Rue Nic Welter am Ende in einer Sackgasse. Die Polizisten stellen ihren Wagen quer. Der flüchtige Fahrer wird aufgefordert, den Motor abzustellen und aus dem Wagen auszusteigen. Doch der Fahrer hat andere Pläne.
Eindringliche Warnung
Bei einem ersten Wendemanöver rammt er zunächst den Polizeiwagen. Der Fahrer des Polizeiwagens, der Schutz hinter der Fahrertür gesucht hatte, gerät durch den Aufprall ins Stolpern. Dann setzt der Fluchtfahrer zurück – auf den zweiten Polizisten zu. Dieser rettet sich durch einen Sprung in den Straßengraben. Das kann sein Kollege allerdings nicht sehen. Der geht davon aus, dass sein Partner angefahren wurde. Der Beamte zieht daraufhin seine Waffe. Er warnt den Fluchtfahrer, dass er schießen wird.
Spurensuche in Bonneweg
Doch der will immer noch nicht hören und rast auf den Beamten zu. Der
schießt zweimal in Richtung der Motorhaube. Der Fluchtfahrer setzt
erneut zurück. Als er dann am Polizisten vorbeiprescht, feuert dieser
zwei weitere Schüsse ab.
Während der Fahrmanöver waren zwei Passagiere aus dem Wagen
geflüchtet. Beide können noch am Ort des Geschehens gestellt werden.
Fluchtfahrer in die Brust getroffen
Als der Audi später in Helmsingen aufgefunden wird, zeigt sich, dass
die Kugeln des Polizisten nicht die Motorhaube, sondern die Frontscheibe
getroffen haben. Auf dem Fahrersitz gibt es Blutspuren. Nach seiner
Festnahme zeigt sich, dass eine Kugel den Fahrer in die linke
Brusthälfte unter das Herz getroffen hat.
Unabhängig vom Prozess gegen den Fluchtfahrer muss sich auch der
Polizist im November 2015 wegen der Schussverletzung vor Gericht
verantworten. Er wird der vorsätzlichen Körperverletzung und des
dienstlichen Schusswaffengebrauchs ohne legitimen Grund beschuldigt. Die
Richter klammern die beiden letzten der vier Schüsse im Prozess aus, da
diese in Richtung des Beifahrersitzes gingen, wo sich niemand mehr
befand.
Flucht nimmt blutiges Ende
In Bezug auf den Schuss, der den Autofahrer in die Brust traf,
urteilen die Richter, dass dieser mit der klaren Absicht, die Person zu
treffen, abgefeuert wurde und der Schütze die damit einhergehenden
Risiken billigend in Kauf nahm. Ob die Verletzungen gewollt waren oder
nicht, spielt keine Rolle. Als erschwerend gilt, dass die Verletzungen
zu einer vorübergehenden Arbeitsunfähigkeit führten. Entscheidend ist
aber eine andere Frage: Hatte der Polizist einen legitimen Grund, um die
ihm vorgeworfene vorsätzliche Körperverletzung zu begehen?
Absolute Notwendigkeit als Grundvoraussetzung
Dem Gesetz nach darf der Schusswaffengebrauch nur bei absoluter
Notwendigkeit erfolgen. Den Richtern zufolge war das der Fall. Die
Schüsse waren erforderlich, um den Fahrer zu stoppen. Der Polizist
musste von der Gefährlichkeit seines Gegenübers ausgehen. Der Autofahrer
hat ihrer Ansicht nach beide Polizisten willentlich gefährdet.
Die Fluchtmanöver entsprechen einem gewaltsamen Angriff mit dem Auto als Waffe. Die Schüsse auf die Motorhaube waren daher verhältnismäßig und der Beamte hat sich in einer Notwehrsituation befunden. Der Einsatz der Dienstwaffe war demnach legitim und der Beamte ist vom Vorwurf der vorsätzlichen Körperverletzung freizusprechen.
Bonneweg vs. Sandweiler
Trotz der augenscheinlichen Parallelen zwischen den Fällen von
Bonneweg und Sandweiler gibt es auch ebenso offensichtliche
Unterschiede. Die Polizisten in Sandweiler waren in eine
halsbrecherische Verfolgungsjagd mit einem Auto verwickelt, dessen
Fahrer sehr hohe Risiken einging. Zudem hatten die Beamten von ihrer
Leitstelle eine falsche Information zu dem Wagen erhalten.
In
Verbindung mit dem Verhalten des Fahrers – er hatte das Polizeiauto
zwischen Irrgarten und den Schüssen in Sandweiler insgesamt siebenmal
gerammt – mussten sie davon ausgehen, es mit sehr gefährlichen Personen
zu tun zu haben.
Der „Showdown“ erfolgte spätnachts und in einer
engen Gasse. Der Polizist schoss, nachdem sein Kollege schreiend hinter
dem Auto in einen Graben fiel. Er ging davon aus, dass der Autofahrer
diesen rücksichtslos angefahren hatte. Dann raste der Fahrer auch auf
ihn zu.
Entscheidend für den Gerichtsprozess war zudem, dass dieser
nicht auf Initiative der Staatsanwaltschaft anberaumt wurde, sondern
nach einer Privatklage vom Vater des angeschossenen Autofahrers. Zu den
Geschehnissen in Bonneweg gibt es nur wenig gesicherte Erkenntnisse.
Fakt
ist aber auch hier, dass nach dem Wagen gefahndet wurde, dass dieser
sich einer Kontrolle widersetzt hatte und, dass der Fahrer mit Vollgas
auf einen Polizeibeamten zugerast war. Den tatsächlichen Tatablauf wird
wohl erst ein Gerichtsprozess an den Tag bringen – wenn es denn dazu
kommt.