Gewerkschaften setzen sich durch
Ist die Luxemburger Polizei noch in der Lage, die öffentliche Sicherheit zu gewährleisten? Gewerkschaften und Personalvereinigungen fordern seit Jahren zusätzliches Personal und gehen immer wieder auf Konfrontationskurs zur Polizeidirektion. Mitte Juli machte Polizeiminister François Bausch Nägel mit Köpfen, die Regierung bewilligte insgesamt zusätzliche 850 Stellen. Ist es damit getan? Kann jetzt wieder Ruhe einkehren?
Text: Fern Morbach
Noch nie waren bei der Polizei Stimmung und Arbeitsbedingungen so schlecht wie in jüngster Zeit.“ Das sagt Anfang Juli ein Mann, der seit mehr als 30 Jahren mit Leib und Seele Polizist ist. Personalmangel, Überstunden, neue Schichtpläne, Elternurlaube, immer neue Aufgaben und Aufträge, fehlendes Verständnis bei der Polizeidirektion und bei der Politik – das sind nur einige der von ihm ausgemachten Ursachen. Er übt aber auch Selbstkritik und streitet nicht ab, dass es bei der Polizei mittlerweile verbreitet ein Mentalitätsproblem gebe, das auf die Stimmung drücke und die Leistungsbereitschaft lähme. „Die Kameradschaft leidet, viele junge Berufsanfänger lassen sich keinen Rat mehr geben.“ Leidet die Polizei unter multiplem Organversagen, ist der Patient Polizei noch vor dem Kollaps zu retten? Wenige Tage nach dem Gespräch mit dem altgedienten Beamten präsentiert Minister François Bausch erste Therapieansätze. In den kommenden drei Jahren (2020 bis 2022) werden bei der Luxemburger Polizei rund 850 neue Stellen geschaffen: 607 werden mit Polizisten, 240 werden mit zivilen Mitarbeitern besetzt. Zusätzlich werden die natürlichen Abgänge (es handelt sich vor allem um Eintritte in den Ruhestand) durch neue Mitarbeiter ersetzt. Unter dem Strich wird die Polizei also zwischen Anfang 2020 und Ende 2022 fast 1000 neue Beamte und Angestellte finden und sie wird mit deren Ausbildung beginnen müssen. Die Ankündigung des Ministers steht für einen Sieg der vier Polizeigewerkschaften und Personalvereinigungen. Sie steht aber auch für eine Niederlage der bislang im Großherzogtum verfolgten Sicherheits- und Arbeitspolitik und sie steht für eine Niederlage der Polizeidirektion. Das sieht auch Pascal Ricquier, der immer wortgewaltige und manchmal sehr laute Vorsitzende des mächtigen, rund 2200 Mitglieder zählenden „Syndicat national de la police grand-ducale Luxembourg“ (SNPGL) so. „Wir mussten in den vergangenen Monaten den Druck erhöhen, die Polizei verstieß wider besseres Wissen gegen Gesetze.“ Am Ende führt Pascal Ricquier das Einlenken der Regierung vor allem auf ein Versäumnis zurück: Luxemburg hat eine aus dem Jahr 2003 stammende europäische Direktive über die Arbeitszeitreglung nicht für die Mitglieder des öffentlichen Dienstes umgesetzt. Deswegen verklagte das SNPGL das Großherzogtum bei der Europäischen Kommission, dieser Klage schloss sich auch EuroCOP, der europäische Verband der Polizeigewerkschaften, an. Es ist absehbar, dass die Umsetzung der Direktive irgendwann dazu führen wird, dass auch die Polizei arbeitsrechtlich umdenken muss. Die 1848 Polizisten (Stand 26. Juli 2019) werden dann endgültig nicht mehr reichen, um die öffentliche Sicherheit zu gewährleisten.

wie sie funktionieren müsste.“
Pascal Ricquier, der Präsident der
Polizisten-Gewerkschaft SNPGL,
glaubt nicht daran, dass es mit
600 zusätzlichen Polizisten-
Stellen getan ist. Schon heute
würden 1100 Beamte fehlen.
Foto: Fern Morbach

Gedanken konnten sich viele Polizisten
bis zuletzt nicht wirklich anfreunden.
Ausgerechnet François Bausch holte aber
jetzt zu einem Befreiungsschlag aus und
sorgte für die Bewilligung von rund 850
neuen Stellen bei der Polizei.
Foto: Gerry Huberty
Gefangenentransporte bleiben Sache der Polizei
Beim SNPGL vertritt man eh die Auffassung, dass die jetzt von der blau-rot-grünen Regierung bewilligten 607 zusätzlichen Polizistenstellen nur ein Anfang sein können. Die Gewerkschaft klopfte für eine Personal-Bestandsaufnahme jede Abteilung der Polizei ab und kam dabei zum Schluss, dass schon jetzt mehr als 1100 Polizisten fehlen. Diese Zahl verleitet Pascal Ricquier zur nüchternen Feststellung, dass die Polizei nicht so funktionieren kann wie sie funktionieren müsste. „Bei der Polizei müssen zu viele Überstunden geleistet werden. Einzelne Kollegen arbeiten immer wieder bis zu 20 Stunden oder noch länger am Stück.“ Die Polizeispitze stuft die Lage deutlich weniger dramatisch ein: „Selbstverständlich ist die Sicherheit in Luxemburg weiterhin gewährleistet“, heißt es in einer von Télécran angefragten schriftlichen Stellungnahme. Auch die Polizeidirektion streitet aber nicht ab, dass es „in der Polizei zu wenig Personal gibt“ und liefert mehrere Erklärungen: der Bevölkerungszuwachs, immer mehr Grenzgänger, neue Aufgaben auf nationaler und internationaler Ebene, verschiedene Formen von Urlaub und auch die Teilzeitarbeit. Aus der Stellungnahme geht aber auch hervor, dass die Polizei in Zukunft alle Gefangenentransporte im Land übernehmen wird, „was auch im Hinblick auf die Eröffnung des neuen Gefängnisses in Sassenheim eine Herausforderung“ darstelle. Um diese Gefangenentransporte hatte es in der Vergangenheit Meinungsverschiedenheiten gegeben. Auf dem Tisch lag der Vorschlag, die Transporte künftig von Gefängniswärtern durchführen zu lassen, um so die Polizei zu entlasten. Dieser Vorschlag scheiterte Informationen von Télécran zufolge am Widerstand des Justizministeriums. Dem Unternehmen Polizei machen allerdings auch neue Lebens- und Arbeitsformen zu schaffen. Derzeit sind beispielsweise 90 Polizisten beziehungsweise Polizistinnen in Elternurlaub, rund 200 Mitglieder des Personals haben unbezahlten Urlaub genommen oder arbeiten in Teilzeit. Die Polizeigewerkschaft SNPGL wirft in diesem Zusammenhang der Polizeidirektion ein undurchsichtiges Personalmanagement vor. So würden beispielsweise Beamte, die wegen ihres Elternurlaubs nur halbtags arbeiten, als voll im Dienst geführt. Das verzerre die Wirklichkeit und schöne die Lage. Vernachlässigtes Stiefkind Kriminalpolizei? Eine Abteilung, die seit Jahren über zu wenig Personal klagt, ist die Kriminalpolizei, die Police Judiciaire, kurz PJ. „Wir bräuchten 350 Beamte, das sind etwa doppelt so viele wie wir heute haben“, sagt Tanja Zwanck, Ermittlerin in der Finanz- und Wirtschaftsabteilung der PJ und zugleich Vorsitzende der „Association du personnel de la police judiciaire“ (APPJ). Vertreter dieser Personalvereinigung zeichnen ein düsteres Bild, sie beschreiben die Luxemburger Kriminalpolizei als ein seit Jahren vernachlässigtes und heute fast ganz vergessenes Stiefkind der Polizei. „Auf der einen Seite arbeiten wir fast nur für die Justiz, auf der anderen Seite nimmt der Bürger unsere Arbeit nur in Ausnahmefällen wahr. Und die Polizeidirektion hat auch nicht viel von uns,“ beschreibt Tanja Zwanck die vertrackte Lage. „Wir fühlen uns unter Wert behandelt“, bringt es APPJ-Sekretär Jean-Paul Kreins auf den Punkt. Das Kontrastprogramm zu diesen von den APPJ-Vertretern aufgelisteten Mängeln bilden die „großen Fälle“, die in der nationalen und internationalen Presse für Schlagzeilen sorgen. „Bei 90 bis 95 Prozent handelt es sich um Fälle, bei denen Beamte der PJ die Ermittlungen leiteten, die Täter verhafteten und danach gerichtsverwertbare Akten zusammen stellten“, sagt Olivier Robert, ein weiteres Vorstandsmitglied der APPJ. Er warnt vor einem Kollaps der Kriminalpolizei. „Die Justiz verlangt einen schnelleren Abschluss der Ermittlungen, Rechtsanwälte üben immer stärkeren Druck auf die Ermittler aus, bei alldem müssen wir Prozeduren einhalten und dürfen uns keine Formfehler erlauben.“ Rasch dreht sich auch das Gespräch mit den drei Vorstandsmitgliedern dieser Gewerkschaft um das Dauerthema Überstunden. „Das Verhör eines Schwerstkriminellen kann man nicht einfach nach sieben oder acht Stunden abbrechen, das dauert schon mal zwölf oder 13 Stunden“, berichtet Jean-Paul Kreins aus dem Polizisten- Alltag. „Bei Ermittlungen gegen Einbrecherbanden kommt es immer wieder vor, dass wir Täter zehn oder zwölf Stunden lang überwachen müssen.“ Letztlich funktioniere die Kriminalpolizei nur noch, weil die meisten Beamten mit Leib und Seele Polizisten seien und viele Überstunden leisteten. Für die drei Vorstandsmitglieder der APPJ ist eine durchschlagskräftige Kriminalpolizei von morgen ohne deutlich mehr Personal nicht vorstellbar. Die Ankündigung von Minister François Bausch, mehr als 600 zusätzliche Planstellen zu bewilligen, hat man bei der Kripo-Gewerkschaft mit Wohlwollen, zugleich aber auch mit einem Schuss Skepsis zur Kenntnis genommen. „Wir hoffen, dass die Kriminalpolizei nicht wieder vergessen wird“, gibt sich Tanja Zwanck besorgt. Am Ende des Tunnels scheint allerdings Licht zu erkennen zu sein: Auf die Télécran-Frage, wo in den kommenden Jahren die 600 zusätzlichen Polizisten eingesetzt werden sollen, erwähnt die Polizeispitze „neben sogenannten Hotspots“ ausdrücklich und nur die Kriminalpolizei. Viel Kritik und viel Liebe Der Handlungsbedarf scheint hoch. Tanja Zwanck will erkannt haben, dass „kaum noch ein junger Polizist zur PJ wechseln will“. Auch deshalb beharrt die Vereinigung auf einer alten, wiederholt abgeschmetterten Forderung. Bislang stammen auch die Beamten der Kriminalpolizei aus dem großen Personal-Topf der Polizei. Der APPJ jedoch wäre es lieber, wenn die PJ ihre Mitarbeiter auf direktem Weg, ohne Umweg durch die normale Polizei, suchen und finden könnte. „Ermittler der Kriminalpolizei sollen auch direkt bei der Kriminalpolizei anfangen können“, fordert Jean-Paul Kreins, Olivier Robert weist darauf hin, dass beispielsweise auch das FBI seine Beamten selbst sucht. Mit dieser Forderung biss die APPJ in der Vergangenheit bei der Polizeidirektion auf Granit und sie stößt damit auch bei anderen Polizeigewerkschaften auf nicht viel Gegenliebe. Dort hält man der Gewerkschaft zufolge weiterhin an der Idee „Wir haben und wir brauchen nur eine Polizei“ fest. Die jüngsten Personalpläne der Regierung dürften die Lage vorerst entspannen. In den vergangenen Jahren hatte sich der Ton zwischen Gewerkschaften auf der einen sowie Polizeidirektion und Politik auf der anderen Seite zunehmend verschärft. Die Arbeitnehmervertreter zeichneten ein negatives Bild vom Arbeitgeber Polizei. In Dutzenden Zeitungsartikeln, Radiobeiträgen und Fernsehberichten standen immer wieder die suboptimalen Arbeitsbedingungen im Mittelpunkt. Haben die Gewerkschaften dadurch der Polizei und ihrem Beruf geschadet? Diesen Vorwurf weist man sowohl beim SNPGL als auch bei der APPJ von sich. Man habe getan und gesagt, was man habe tun und sagen müssen. Trotz aller Probleme zögern sowohl Tanja Zwanck als auch Pascal Ricquier keine Sekunde: Beide empfehlen jungen Menschen, zur Polizei zu kommen, sich für eine der vielen offenen Stellen zu bewerben. „Die Polizeiarbeit ist immer noch ein schöner Beruf“, ersichert Pascal Ricquier. „Bei der Kriminalpolizei ist es immer spannend“, sagt Tanja Zwanck, die Kripo sei wohl die interessanteste Abteilung bei der Polizei. „Die Polizei ist und bleibt ein interessanter Arbeitgeber mit zahlreichen Möglichkeiten, seine Laufbahn zu gestalten“, stimmt auch die Polizeidirektion in den Chor ein. Nach wie vor viele Bewerber Statistiken lassen den Schluss zu, dass die Polizeidirektion mit ihrer Einschätzung richtig liegt. Dieses Jahr bewarben sich für die sogenannte B1-Laufbahn für Schulabgänger mit Abitur 500 junge Frauen und Männer; im Schnitt schafft ein Drittel von ihnen die Aufnahmeprüfung für die Ausbildung zum Polizeibeamten. Für 60 offene Stellen in der unteren C1-Laufbahn hatten sich eine Woche vor Meldeschluss (31. Juli) bereits 200 Jugendliche beworben. Zuletzt waren die Zugangsbedingungen zum Polizistenberuf allerdings leicht gelockert worden. Unter anderem ist man beim Sporttest jetzt weniger anspruchsvoll und das Höchstalter für Polizeianwärter wurde ganz abgeschafft. Bei der jüngsten Aufnahmeprüfung gab es allerdings ein neues, nicht vorhergesehenes Problem: Laut SNPGL konnten zahlreiche Bewerber nicht an der Prüfung teilnehmen, weil sie ihr Abitur-Diplom noch nicht erhalten hatten. Dennoch weiß niemand, ob es die Polizei in den kommenden Jahren schaffen wird, die 850 zusätzlichen Stellen zu besetzen und dazu noch die normalen Abgänge zu ersetzen. Benötigt werden nicht nur eine neue und vor allem eine größere Polizeischule und mehr Ausbilder, benötigt würden wohl auch deutlich mehr Bewerber als bisher. Auf wenig Gegenliebe stieß bei der SNPGL der zaghaft von Minister Bausch geäußerte Vorschlag, auch Nicht-Luxemburger zum Polizeidienst zuzulassen. SNPGL-Präsident Pascal Ricquier ist zuversichtlich, dass sich auch ohne eine solche Öffnung noch genügend junge Menschen bewerben werden – allerdings müsse man die eigenen Ansprüche wohl ein weiteres Mal zurückschrauben. „Die Polizei sollte nicht an einem Niveau festhalten, das es schon heute nicht mehr gibt.“ Die Gewerkschaft schlägt außerdem vor, das bestandene Staatsexamen als Eintrittskarte zur Polizeischule und zur anschließenden zweijährigen Grundausbildung zuzulassen. Unterdessen hat man auch in der Polizeidirektion damit begonnen, sich auf den Ansturm von fast 1000 neuen Mitarbeitern in nur drei Jahren und die Auswirkungen dieses Ansturms auf Infrastruktur und Ausbildung vorzubereiten. „Wir sind dabei, die nötigen Vorkehrungen zu treffen.“ Etwas Zeit bleibt noch: Junge Frauen und junge Männer, die 2020 ihre Zulassungsprüfung schaffen, werden erst im Jahr 2021 mit der Ausbildung in der Schule beginnen. Seit einigen Tagen kursiert in Polizeikreisen noch eine neue Information: Es gebe Pläne, die theoretische Ausbildung von Polizeischülern auf ein Jahr zu verkürzen und die Neulinge bereits nach zwölf Monaten Schule als Polizisten – allerdings mit beschränkten Aufgaben und Befugnissen – einzusetzen. Diesem Vorhaben kann SNPGL-Präsident Pascal Ricquier nicht viel Positives abgewinnen: „Dann müsste sowohl der theoretische als auch der praktische Teil der Ausbildung gekürzt werden. Dabei ist gerade die Grundausbildung am wichtigsten“.

in Zukunft Sache der Polizei bleiben
und demnach nicht – wie angedacht
– von Gefängniswärtern übernommen
werden. Die Inbetriebnahme des neuen
Gefängnisses in Sassenheim wird für die
Polizei mit deutlich mehr Arbeit und einem
höheren Personalbedarf verbunden sein.
Foto: Gerry Huberty

und Olivier Robert von der APPJ fordern deutlich mehr Personal für die zuletzt
stiefmütterlich behandelte Police Judiciaire. Wie es aussieht, könnte der Wunsch in
Erfüllung gehen. Laut der Polizeidirektion soll die Kriminalpolizei in den kommenden
Jahren wieder deutlich wachsen. Foto: Fern Morbach
Ein Job bei der Polizei
Tausend Berufe in einem. Mit diesem Slogan versucht man bei der Polizei, jungen Menschen den Polizistenberuf schmackhaft zu machen. Auf der Internet-Seite www.police.lu gibt es umfassende Informationen über den Polizistenberuf und über Karrierechancen. Mittlerweile beschäftigt die Polizei neben mehr als 1800 Polizisten auch noch rund 360 zivile Mitarbeiter. Sie arbeiten bei der Polizei und für die Polizei, sie sind aber nicht Polizist. In diesem Zivilbereich sind unter anderem Wirtschaftsfachleute, EDV-Spezialisten, Juristen, Biologen und Psychologen, aber auch Mechaniker, Sekretariatsmitarbeiter und Elektriker tätig. Auch diese Jobs sind derzeit heiß begehrt, die Polizeidirektion spricht von „sehr vielen
Bewerbungen“.

Source Telecran.lu