Bürger des „Quartier Gare“ ließen bei einer öffentlichen Versammlung ihrem Ärger um die Drogenkriminalität in der Rue de Strasbourg freien Lauf.
Von Eric Hamus
Mehr Beamte, mehr Präsenz, mehr Mittel, mehr Kooperation und gezielte Schläge gegen Banden im hauptstädtischen Bahnhofsviertel: Polizeiminister François Bausch hat den Einwohnern des „Quartier Gare“ Unterstützung im Kampf gegen die alltägliche Drogenkriminalität in ihrer Nachbarschaft zugesichert. Landesweit werden in den kommenden drei Jahren 850 neue Polizisten eingestellt. Und von den 75 jüngst vereidigten Beamten wird ein Großteil zunächst ins Bahnhofsviertel versetzt. Das hat der Minister für innere Sicherheit den besorgten Bürgern am Mittwoch im Rahmen einer Versammlung in der Rue de Strasbourg versprochen.
Bürgermeisterin Lydie Polfer stellte sich den Fragen der Einwohner des Viertels. Unterstützung erhielt sie von (v.r.n.l.) Martine Wodelet und Georges Oswald von der Staatsanwaltschaft, Justizministerin Sam Tanson, Schöffe Serge Wilmes, Polizeiminister François Bausch, Polizeigeneraldirektor Philip Schrantz und Regionaldirektor Patrick Even. Foto: Eric Hamus
Als Bürger der Stadt Luxemburg wisse er um die Probleme im Hauptstadtviertel. Nach seinem Amtsantritt aber habe er sich nochmals ein detailliertes Bild der Lage verschaffen wollen. „Für mich ist klar, dass wir hier prioritär ansetzen müssen, und das nicht nur auf repressiver Basis“, so Bausch. Allein mit der Polizei sei dem Problem aber nicht beizukommen. „Dafür ist die Situation zu komplex“, fuhr der Minister fort, dem eine Zusammenarbeit mit verschiedenen Ministerien vorschwebt. „Natürlich müssen wir präventiv und repressiv vorgehen. Doch müssen wir auch dem Problem auf den Grund gehen: der nigerianischen Drogenmafia das Handwerk legen“, unterstrich der grüne Minister unter tosendem Applaus.
Die Drogenhändler zwingen uns ihre Gesetze auf. Wann haben wir wieder ein Recht auf Sicherheit? Ein Teilnehmer der Versammlung
Die Veranstaltung in der neuen Sporthalle war bis auf den letzten Platz gefüllt. Mehrere hundert Bürger drängten am Abend in den Saal, die meisten mit versteinerten Minen, um sich die Vorschläge ihrer gewählten Vertreter anzuhören. „Sie müssen nicht in die Bronx reisen oder nach Chicago. Ich zeige Ihnen gerne unsere Nachbarschaft. Da stehen Ihnen die Haare zu Berge“, versprach einer von 20 Bürgern, die am Mittwoch die Gelegenheit erhielten, den politischen Verantwortlichen und Behörden ihr Anliegen vorzutragen. Teils wütend, ab und an beschwichtigend und manchmal auch bewegend. Ihr Tenor: Die Rue de Strasbourg und die benachbarten Straßen sind zu einem rechtsfreien Raum verkommen.
62 Prozent mehr Drogenkriminalität
Aussagen, die teils auch von Zahlen belegt werden. Polizei-Statistiken zufolge wurden letztes Jahr im Bahnhofsviertel 3.960 Vergehen festgestellt, in Bonneweg waren es immerhin noch 2.260. Zahlen, an die andere Nachbarschaften in der Hauptstadt nicht annähernd herankommen. Zum Vergleich: In Dommeldingen lag die Zahl der Vergehen bei knapp 200, im Grund waren es sogar weniger als 50. Und auch dieses Jahr sieht es nicht besser aus: Allein im Bahnhofsviertel wurden in den ersten zwei Trimestern des Jahres bereits 2.539 Vergehen geahndet, in Bonneweg 1.685.
Katz- und Mausspiel im Bahnhofsviertel
„Diese beiden Viertel sind weitaus mehr belastet als andere“, stellte am Mittwoch Patrick Even fest, Regionaldirektor der Polizei in der Hauptstadt. Allein was die Drogenkriminalität angeht, sei die Zahl der Verhaftungen in den ersten sieben Monaten dieses Jahres um 62 Prozent gestiegen. Allerdings müsse er diese Statistik etwas relativieren, so Even: „Drogenvergehen fallen uns ja nicht in den Schoß. Das sind Fälle, denen wir aktiv nachgehen. Wenn also mehr Vergehen festgestellt werden, bedeutet das, dass die Polizei proaktiver vorgeht.“
„Diesen Krieg habt ihr bereits verloren“
Diese Beteuerung sollte aber nicht dazu beitragen, dass sich die Stimmung im Saal beruhigt. Im Gegenteil: Gleich mehrere Redner stellten die Polizeipräsenz im Viertel infrage, manche sprachen von langsamen Reaktionen nach einem Notruf, andere berichteten von achselzuckenden Beamten, die sich dem Schicksal bereits ergeben hatten.
„Diesen Krieg habt ihr bereits verloren“, war nur eines von etlichen Zitaten, die Bürger noch vonseiten der Beamten zu hören bekamen. „Die Polizei spricht hier von proaktivem Vorgehen. Viele Patrouillen sehen wir aber nicht in der Rue de Strasbourg“, so ein weiterer Redner. „Wir haben eher das Gefühl einer großen Abwesenheit. Die Dealer fühlen sich hier zu Hause, weil sie nicht gestört werden“, fuhr er unter Applaus fort.
Die Zahl der Polizisten entspricht einem 400.000-Einwohner-Staat.Minister François Bausch
„Die Drogenhändler zwingen uns ihre Gesetze auf. Wann haben wir wieder ein Recht auf Sicherheit?“, fragte sich ein weiterer Bürger, während eine junge Studentin davon berichtete, dass sie sich nach Einbruch der Dunkelheit nur noch im Laufschritt durchs Viertel traue. „Sie haben keine Ahnung, was wir uns manchmal anhören müssen“, so die junge Frau.
Videoüberwachung: Die Kamera als Zeuge
75.000 Euro ließen sich die Geschäftsleute im Viertel einen ordentlichen Sicherheitsdienst kosten. Ansonsten sei es unmöglich, Drogenhändler und Drogenkonsumenten aus den Eingängen oder Parkhäusern fernzuhalten, so ein Vertreter des Geschäftsverbandes. Von der Polizei höre man hingegen nur, dass man unterbesetzt sei. „Man kann nicht einerseits das Wort Mafia in den Mund nehmen und sich andererseits nicht die nötigen Mittel geben, diese zu bekämpfen“, so der Hotelbesitzer.
Nein, er habe kein Vertrauen in die anwesenden Politiker, so ein weiterer Bürger, der für diese Aussage wohl den größten Applaus des Abends erhielt. Unter dem tosenden Beifall seiner Mitbürger redete sich der junge Familienvater regelrecht in Rage: „Wenn sich in den nächsten Tagen nichts ändert, dann gehen wir auf die Straße. Das lassen wir uns nicht gefallen!“
Mehr Personal, schönere Nachbarschaften
Jeder habe mittlerweile verstanden, dass die Situation nicht mehr haltbar sei, meinte Bürgermeisterin Lydie Polfer im Anschluss. Sie wolle denn auch rasch und konsequent handeln, um Schlimmeres zu vermeiden. Minister François Bausch hingegen versprach eine Aufstockung der Personaldichte. „Die Zahl der Beamten entspricht einem 400.000-Einwohner-Staat. Mit den Grenzgängern bewegen sich tagsüber aber inzwischen eher 800.000 Menschen im Land“, so der Minister, der das Problem auf beiden Seiten der Grenze angehen möchte. Deswegen werde er sich auch rasch mit den zuständigen Ministern in der Grenzregion zusammentun, so Bausch.
Sowohl die Bürgermeisterin als auch der Minister versprechen sich viel von der Instandsetzung des Bahnhofsviertels. Neue Infrastrukturen, schönere Straßen würden die Kriminalität auch vertreiben, so die Politiker. Sobald die Arbeiten in der Avenue de la Gare und der Rue de Hollerich abgeschlossen seien, werde man auch die Rue de Strasbourg in Angriff nehmen, versprach die Bürgermeisterin. „Mit neuen Mülleimern, Bremsschwellen und einer besseren Beleuchtung.“
Die aktuelle Situation sei auf jeden Fall nicht mehr hinnehmbar.