PRESSE Tageblatt.lu 1.130 Polizist(inn)en fehlen

Marco Goetz

POLIZEI Gewerkschaftspräsident Pascal Ricquier zu Rekrutierung und Ausbildung

Seit 2013 schaut SNPGL-Präsident Pascal Ricquier der Direktion auf die Finger
Foto: Editpress/François Aussems

Was die Polizeireform angeht, sitzt das SNPGL („Syndicat national de la Police grand-ducal Luxembourg“) mit im Boot. Die Richtung, in die gerudert wird, würde stimmen, sagt Pascal Ricquier, Präsident der Polizeigewerkschaft. Aber er hegt Zweifel. Denn die Reform könne nur dann gelingen, wenn das Arbeitsklima stimme, wenn wirklich massiv rekrutiert werden könne und wenn die Aufnahmeprüfungen und die Ausbildung den wirklichen Bedürfnissen der Polizei angepasst würden.

Was wäre wenn? Was wäre, wenn heute alle Bereiche der Polizei mit genau der Anzahl an Leuten ausgestattet wären, die sie für ein normales funktionieren brauchen?

Dann müssten 1.130 Polizist(inn)en mehr im Dienst sein. Oder andersrum: Es fehlen heute 1.130 Frauen und Männer. Die Polizeigewerkschaft hat nachzählen lassen.
Über die Zahl darf man diskutieren. Fakt ist: Die Polizei hat ein echtes Personalproblem, sie ist chronisch unterbesetzt und sie muss sich immer neuen Aufgaben stellen, was hohe Anforderungen an die Berufsausbildung stellt.
In der Beurteilung der Situation sind sich der Minister für Innere Sicherheit, die Polizeileitung und die Gewerkschaft im Prinzip einig. Einigkeit esteht auch in der Einschätzung, dass die Lösung des Problems entscheidend für das Gelingen der Polizeireform ist.
Doch wer soll wie rekrutiert und ausgebildet werden? „Wir sind auf dem richtigen Weg“, sagte Pascal Ricquier am Rande des Patronatsfestes der Polizei vor zwei Wochen. Wohlverstanden in der Theorie und bei Ankündigungen sei man auf dem richtigen Weg. Wie aber sieht es in der Praxis und mit der Umsetzung aus? Da bleibt der Polizist und Gewerkschaftler vorsichtig skeptisch. Er kennt den Betrieb seit Jahrzehnten. Seit 2013 darf er als Präsident des SNPGL den Finger auf Wunden legen.
Natürlich zeigt er sich zufrieden darüber, dass laut Minister François Bausch die kommenden drei Jahre jeweils netto 200 Polizisten neu ufgenommen würden, und wenn es nötig sein sollte, habe der Minister noch weitere 200 versprochen. „Diese Idee stammt von uns!“, betont Ricquier: „Wir haben gesagt, es reicht jetzt, wir müssen jetzt im großen Stil rekrutieren, wir können nicht 20 Jahre so weitermachen wie bisher, mit Unterbesetzung in den Kommissariaten und mit den sich daraus ergebenden Überstunden.“ Wenn der Minister von „netto“ redet, bedeutet das für Pascal Ricquier übrigens, dass die wegen Pensionierung rund 40 Abgänge pro Jahr zusätzlich kompensiert werden.
Von der Idee, die Polizeikarriere für andere EU-Bürger zu öffnen, hält Ricquier nichts: „Ich denke, dass wir ausreichend Leute finden können, wenn wir die Ausbildung und vor allem die Aufnahmebedingungen anpassen. Bei den letzten Examen waren auch genügend Kandidaten da. Die hohen, aber nicht mehr zeitgemäßen Anforderungen haben jedoch einem großen Teil von ihnen einen Strich durch die Rechnung gemacht.“ Deshalb sei es notwendig, an den Schrauben des Aufnahmeexamens zu drehen, sowohl was den theoretischen wie den praktischen Teil anbelangt.

Ausbildung

„Das Staatsexamen ist ja vor geraumer Zeit geändert worden, weil immer weniger Kandidaten diese Hürde schafften und es so zu Engpässen gekommen ist. Jetzt läuft vieles besser. Die einzigen Stellen beim Staat, wo das Examen nicht angepasst wurde, ist bei der Armee und bei der Polizei. Deshalb haben wir als Gewerkschaft gefordert und auch durchgesetzt, dass unser theoretisches Examen dem allgemeinen Staatsexamen angepasst wird. Beim Sport gab es dieses Jahr bereits Anpassungen. Die für das theoretische Examen folgen im kommenden Jahr.“
Nach dem Aufnahmeexamen folgt die Ausbildung. Auch die soll ab 2021 geändert werden. Sind es jetzt noch zwei Jahre auf der Polizeischule, soll es kann nur noch eins sein. Ein Jahr nur Theorie und kein Praktikum. Das erfolgt im zweiten Jahr der Ausbildung, was die angehenden Polizisten dann aber bereits als vereidigte „Agents de police judiciaire (APJ)“ komplett in einer Einheit verbringen.
Die Polizeigewerkschaft hegt schon seit längerem den Wunsch, dass nur noch Kandidaten mit bestandenem Sekundarschulabschluss (1re oder 13e) rekrutiert werden sollen, „um den Anforderungen des Berufes gerecht zu werden“. „Wir fragen uns sogar, ob das Abitur in Zukunft den Ansprüchen genügt, angesichts der Anforderungen, besonders was Gesetzestexte, Prozeduren und Technik anbelangt. Also brauchen wir mehr Leute mit besserer Ausbildung.“

Überstunden reduzieren

Stichwort Weiterbildung. Auch die gibt es bei der Polizei. Einmal im Jahr, um in verschiedenen Bereichen auf den neuesten Stand gesetzt zu werden. „Aber auch das reicht nicht wirklich aus, da sind wir uns auch mit der Direktion einig. Allerdings können wir momentan nicht viel mehr machen. Wir können die Leute nicht öfter in die Schule rufen, denn sonst fehlen sie vor Ort. Auch hier macht der Personalmangel uns einen Strich durch die Rechnung“, bemängelt der SNPGLPräsident.
Bis sich die positiven Effekte der Rekrutierung und der Ausbildung richtig bemerkbar machen würden, könne es laut Pascal Ricquier sechs bis sieben Jahre dauern.
„So lange müssen wir uns alle noch in Geduld üben. Wofür wir aber überhaupt kein Verständnis mehr haben, das sind übertriebenen Überstunden, also dass Kollegen um die 20 Stunden am Stück arbeiten müssen. Das darf eigentlich weder die Polizeidirektion noch die Politik weiterhin verantworten. Außerdem steht auf der polizeiinternen Internetseite klar und deutlich, dass sich 100-prozentig an die Arbeitszeitregelung zu halten sei. Deshalb raten wir den Kollegen, das absolut zu respektieren. Wir wissen nämlich nicht, wie die Direktion oder die IGP („Inspection générale de la police“) reagieren würde, wenn ein Polizist aus Pflichtgefühl oder weil einfach zu viel Arbeit ist, länger im Dienst ist als gesetzlich erlaubt und er dann einen Unfall baut oder sonst was passiert.“
Um diese Unsicherheit zu beheben, hat die Polizeigewerkschaft einige Ausnahmen zugelassen, immer aber im Rahmen der europäischen Arbeitszeitregelung. Allerdings muss man auch darauf hinweisen, dass diese Regelung im Falle eines Notfalls außer Kraft gesetzt ist, beispielsweise bei einer Geiselnahme, einem Amoklauf oder einer Naturkatastrophe: „Beim Tornado Anfang August, wenn Bürger in Not sind und schnelle Hilfe brauchen, da spielt Zeit keine Rolle mehr“, so Ricquier.
Was die Zukunft der Polizei anbelangt, könne er sich vorstellen, dass jemand, der zur Polizei kommt, nicht sofort alle Kenntnisse und Fertigkeiten beherrschen muss: „Die Direktion hat da eine Idee, die wirklich gut ist, die aber heute, wegen des Personalmangels, noch nicht zu verwirklichen ist. Diese Idee ist, die jungen Polizist(inn)en mit dem auszustatten, was sie für den Außendienst brauchen. Je nach der von ihnen angestrebten beruflichen Orientierung werden sie später dann spezifisch weitergebildet.“
Pascal Ricquier hat seine Polizeikarriere in den 90er Jahren in Kayl begonnen. Damals sei alles noch ein bisschen anders gewesen. „Da haben wir uns noch selbst mit Arbeit beauftragen können, zum Beispiel haben wir spontan eine Verkehrskontrolle beschlossen oder eine nächtliche Patrouillenfahrt. Damals ging das noch. Damals genügte der Polizeibestand den Anforderungen. Seither ist so viel hinzugekommen, die Kriminalität ist gestiegen, aber die Personaldecke ist nicht dicker geworden.“ So wie damals in den 90er Jahren in Kayl wird es mit großer Wahrscheinlichkeit nie wieder werden, meint Pascal Ricquier.


Source Tageblatt.lu

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