Polizeigewerkschaft SNPGL zieht wegen vermeintlich gefälschter Dienstpläne vor Gericht
- Luxemburger Wort
- 11 Jul 2020
- Von Marc Hoscheid
Die im vergangenen Jahr eingeführten Zeitsparkonten sorgen für Unmut bei der Polizeigewerkschaft SNPGL. Wegen vermeintlich gefälschter Dienstpläne kam es in der Sitzung der Commission de contrôle am Mittwoch zu heftigen Diskussionen zwischen Vertretern von SNPGL und CGFP auf der einen und der Polizeidirektion sowie dem beigeordneten Minister für Verteidigung und innere Sicherheit, Henri Kox (Déi Gréng), auf der anderen Seite.
„Jemand hat falsche Zahlen eingereicht, wir wissen aber nicht wer“, so Pascal Ricquier, Präsident der SNPGL. Deswegen werde die Gewerkschaft in den kommenden Tagen eine Klage wegen „Usage de faux“einreichen. Diese richte sich gegen Unbekannt sowie gegen einzelne Personen, deren Namen man allerdings noch für sich behalten wolle. Diese Entscheidung sei vom Komitee einstimmig gefällt worden.
Die SNPGL kritisiert auch, dass entgegen dem Abkommen vom 17. Juni 2019 noch immer nicht die Zahlen der darin festgehaltenen viermonatigen Referenzperiode von Juli bis inklusive Oktober veröffentlicht wurden. Stattdessen habe die Polizeidirektion diese Woche Zahlen aus dem Zeitraum von Januar bis April dieses Jahres präsentiert. Bei den ersten beiden Sitzungen der Commission de contrôle im November und Februar sei die Herausgabe von Zahlen noch ohne Begründung verweigert worden. Die Gewerkschaft fordert, dass bis zum 15. September die Zahlen der ersten drei Referenzperioden von Juli 2019 bis Juni 2020 vorliegen.
Man wolle selbst Stichproben vornehmen, ohne auf die Daten der Polizeidirektion angewiesen zu sein, denn so Ricquier: „Wir trauen der Direktion nicht mehr.“Diese setze auf eine Hinhaltetaktik und hoffe auf eine Veränderung des Statuts. Auf Gewerkschaftsseite bestehe man hingegen darauf, dass das bestehende Abkommen eingehalten wird. Hier weiß die SNPGL die Staatsbeamtengewerkschaft CGFP auf ihrer Seite. Auch wenn diese sich nicht an der Klage beteiligt, zeigt ihr Präsident Romain Wolff dennoch Verständnis für den Schritt der SNPGL.
Als Wurzel des Problems sieht Ricquier die personelle Unterbesetzung bei der Polizei. „Wir kriegen zwar 600 zusätzliche Leute, aber in demselben Zeitraum gehen auch Personen in Rente, es fehlen rund 1 000 Beamte.“Deswegen plädiert man bei der SNPGL für eine Entlastung der Polizisten, indem man Missionen abgibt. So sollen beispielsweise künftig die Gefangenentransporte vom Gefängnispersonal übernommen werden.
Aktuell kämen viele Beamte nicht auf die vorgeschriebene Mindestzahl von acht Ruhestunden, selbst bei den geschönten Dienstplänen. Dabei sei man ohnehin bereits von ursprünglich vorgesehenen elf auf acht Stunden heruntergegangen. Generell bewege man sich beim Abkommen aus dem vergangenen Jahr mit Blick auf die EUDirektive
von 2003 an der Grenze des Erlaubten.
Henri Kox gibt sich zugeknöpft und wollte den Inhalt auf Nachfrage hin nicht weiter kommentieren. Er habe zum Ende der Zusammenkunft eine Reihe von Vorschlägen unterbreitet, die auch angenommen wurden, beispielsweise Stichproben bei den Arbeitsstunden. Dass Klage erstattet werde, nehme er zur Kenntnis. „Es ist nicht meine Aufgabe, das in der Öffentlichkeit zu kommentieren, sondern in unseren Gremien, was ja auch deren Rolle ist.“
Mehr Zurückhaltung gewünscht
Auch wenn es sich um eine lange und teils kontroverse Sitzung gehandelt habe „hätte ich mir von einem Staatsbeamten und besonders einem Polizisten eine gewisse Zurückhaltung gewünscht“. Mehr sei zu diesem Thema nicht zu sagen. In Bezug auf die Neueinstellungen bei der Polizei ist es die Präzision, dass in diesem Jahr 207 Personen eingestellt werden, in den kommenden drei Jahren sollen es 608 sein. Vor dem Sommer soll auch noch das Gesetz zur neuen Polizeischule angenommen werden.
Es hätte genau so gut Windischeschenbach treffen können. Oder Vohenstrauß. Die nördliche Oberpfalz, ein uneitler und auch ein bisschen rauer Landstrich im Nordosten Bayerns, gleich an der Grenze zu Tschechien, ist voll von kleinen Städten mit Namen, die nach Poesie klingen. Und überall in der Gegend hockt man mit Lust beim Bier zusammen, es darf gerne stark sein und noch lieber selber gebraut, es heißt dann „der Zoigl“– und wer gerade welchen fertig hat, hängt ein Büschel grüne Zweige über die Haustür oder den Zoiglstern und schenkt sein Bier in der Wohnstube aus. Es kann dabei ziemlich eng werden – aber das ist ja gerade das Schöne.
Es hat dann aber Mitterteich getroffen. 117 Tage zurück hätte eine Reportage über die 6 600-Einwohner-Stadt vielleicht vom Zoigl gehandelt, vielleicht auch vom Atommüll – und wäre nirgendwo gedruckt oder gesendet worden. Wen interessierte Mitterteich? Dabei hätten die Mitterteicher sich damals gern ein bisschen ins Rampenlicht rücken lassen.
Dann kam das Virus. Dann die Ausgangssperre; die erste in Deutschland. Dann kamen die Journalisten. Dann die Toten. Und die Fragen. Und alles stand in einem fort in den Zeitungen und war im Fernsehen. Auch und vor allem die Fragen. „Wie konnte das passieren?“, bohrte schon Anfang April „Die Zeit“in ihrer OnlineAusgabe.
Die Mitterteicher wüssten das selber gern. Aber fast vier Monate nach dem Beginn des Schreckens kennen sie noch immer keine Antwort.
Nicht, dass sie nicht danach suchen. Zwölf Stunden in der Stadt unterwegs – und es ließe sich leicht ein mittleres Handköfferchen füllen mit all den Fragen, die sich, geflüstert oder gezürnt und manchmal auch einfach nur geschwiegen mit einem ratlosen Blick, in die Geschichten mischen, die Berichte von dem, wie Corona in Mitterteich war und was es gemacht hat mit der Stadt, die – im schönen Sinn – eigentlich ein Dorf ist.
Oder war es gar nicht das Virus? Vielleicht eher der Landrat? Der Bürgermeister? Der Ministerpräsident? Die Medien?
Auf diese – oft gar nicht gestellten – Fragen hagelt es Antworten. Nach dem zweiten Gespräch ist es eine Ahnung, nach dem fünften Gewissheit: Corona ist gerade nicht das einzige Virus, das Mitterteich plagt.
Es gibt Fakten. Am 7. März findet in der Mehrzweckhalle das jährliche Starkbierfest des Burschenvereins statt, 1 200 Besucher, vielleicht auch 1 400, niemand weiß es genau. Seit gut einer Woche ist der Fall Heinsberg bekannt, gut 600 Kilometer entfernt,
kalzeitung kopiert und vergrößert und mitten auf den Besuchertisch gelegt. Er verweist auf eine andere Stadt im Landkreis, die nur einen Toten, aber knapp 1 300 Einwohner weniger zählt. „Dass wir da so an den Pranger gestellt worden sind …“Verständnislosigkeit mischt sich mit Empörung.
Die Oberpfalz ist eine gut christkatholische Gegend, auch im dritten Jahrtausend. Gleich neben Mitterteich liegt in Konnersreuth „die Resl“im Grab, von der ihre Anhänger sagen, dass sie Jesu’ Wundmale trug und bis heute Wunder tut, weshalb sie ihre Seligsprechung betreiben. Fast 60 Jahre nach ihrem Tod fühlen die Mitterteicher sich stigmatisiert.
Sie kennen das schon. Tirschenreuth hat den Kreissitz und also die Verwaltungsmacht, Waldsassen gleich nebenan die Basilika, reinstes Barock, nichts als üppiges Gold und reinweißer Stuck, dazu eine Klosterbibliothek, in der die Sonne Staubkörnchen in funkelnde Lufttänzer verwandelt und dem Holz der Schnitzereien betörende Düfte entlockt. Beides gehört zur Abtei, in der ein paar Zisterzienserinnen dem aufgeregten Zeitgeist
geistliche Konstanz entgegensetzen – und die dem ganzen Landstrich seinen fast zärtlichen Namen gibt: Stiftland. Mitterteich hatte die Industrie, Glas und Porzellan. Und bekam in den Achtzigern – trotz aller Gegenwehr – das Atommüll-Lager. Seitdem fühlt es sich in steter Gefahr.
„Ma woiß goua niad, wos g’fahrlicher iss“, sagt der Journalist. Die Radioaktivität oder das Virus. Alle reden hier Dialekt. Und das Nordoberpfälzisch klingt viel zu rund und viel zu echt, um aggressiv zu wirken. Nach den ersten paar Stunden in Mitterteich steht nur eines fest: Verbreiteter als Sars-CoV-2 ist jetzt das Gefühl, niemandem trauen zu können. Nicht „der Politik“, ob in Tirschenreuth oder in München, und vielleicht auch nicht im Rathaus. Nicht „den Medien“, ausgenommen die Lokalzeitung. Und nicht einmal mehr den Nachbarn. Soll das Misstrauen nicht noch geschürt werden, ist es besser, all jene, die sich trotzdem offenbaren, mit dem Schutz bestmöglicher Anonymität zu umgeben. Keine Namen also.
Der Journalist kennt Mitterteich wie vielleicht nicht noch jemand, in- und auswendig, er lebt hier seit siebzig Jahren. Er weiß, wer sich auch schon vor Corona feind war – und wer sich erst über dem Virus zerkriegt hat. Und er nennt jede Menge Mitterteicher, mit denen man reden soll. Beispielsweise mit dem Unternehmer.
Der weiß sich darzustellen, das wird sofort klar – und noch klarer später, beim Bürgermeister. Der Unternehmer sagt, er habe sich auch infiziert, nicht beim Starkbierfest,
vorher schon, beim Zoigl. Aber beim Starkbier war er auch, es ging ihm ja wieder besser. Freilich, er könnte dort das Virus verbreitet haben. Er lässt kein gutes Haar am Landrat und am Bürgermeister, er sagt, sie hätten keinen gewarnt, nichts gewusst und nichts getan – und wenn überhaupt, dann das Falsche. Zwei Wochen nach der Ausgangssperre hat die Lokalzeitung seinen Offenen Brief an den alten Landrat abgedruckt; der Unternehmer kennt sich aus im Gesundheitsbereich, und dem Brief, der eher wie eine Anklage wirkt, ist zu entnehmen, dass er die Behörde und ihre politische Führung für absolut inkompetent hält. Im Gespräch sagt er, das gelte ebenso fürs Rathaus. Dem neuen Bürgermeister habe er mit Anzeige gedroht, weil der selbstgenähten Mund-Nasen-Masken einen Schutz angedichtet habe, den sie gar nicht gehabt hätten. Der Bürgermeister wird sagen, über den
Kein Wort werde sie sagen, und auch das Personal habe Redeverbot. Es sei so viel Unfug geschrieben worden. Eine Geschäftsfrau
Unternehmer wolle er nicht reden. Aber er hätte sich besser einbringen sollen, als es notwendig war, statt überall herumzuschreien.
Etwas Ähnliches sagt der Bürgermeister auch über den Ministerpräsidenten – wenn auch nicht ganz so derb. Der kann beim Namen genannt werden, es kennt ihn ohnehin jeder. Und dann lebt Markus Söder ja nicht in Mitterteich. Er war auch bis jetzt noch nicht dort. Aber geredet hat er über die Stadt. „Ischgl – Heinsberg – Mitterteich“– das sei seine Formel gewesen, immer und immer wieder. Alle erzählen davon, alle fühlten – und fühlen sich noch – tief getroffen, und der Bürgermeister sagt,
Söder, der ja sein Parteivorsitzender ist, habe ein bisschen was gutzumachen. Wäre Mitterteich bei der nächsten Behördenverlagerungsrunde dabei – würde dann noch wer fragen, ob die Lokalpolitiker bei der Corona-Katastrophe versagt haben?
Aber sie fragen ja schon nicht mehr, die Mitterteicher. Sie sind sicher. Sie haben es ja erlebt. Erzählen vom Nachbarn, der einen ganzen
Mit selbst gemalten Herzen machen die Mitterteicher sich im März Mut. Tag beim Notruf nicht durchkam. Am Ende organisierte der örtliche Rot-Kreuz-Chef den Transport der Nachbarin ins Krankenhaus – knapp ehe es zu spät gewesen wäre. Jeder kennt mindestens einen oder eine der zwanzig Toten. Und die Geschichte dazu. Dass die Ärzte in Tirschenreuth die Patienten aus Mitterteich nicht behandelt haben. Dass an der Teststraße des Landratsamts in Tirschenreuth für einen ganzen Tag die Ergebnisse fehlten. Dass beim Bestatter in einem fort Särge angeliefert wurden. Dass der Arbeitskollege seine Frau zum letzten Mal gesehen hat, als sie in den Krankenwagen eingestiegen ist. Und dann wieder, als der Bestatter ihm ihre Urne hingestellt hat. Wer, fragen sie, soll das aushalten?
Aber eigentlich meinen sie: Wer ist schuld? Sie glauben nichts und keinem mehr. Die Frau des Industriemeisters sagt, dass die Polizei alle Infizierten kenne und kontrolliere, ob sie zu Hause blieben. Sie nennt Namen und Zeiten dazu, heute erst habe sie es gesehen. Laut Landratsamt zählt da der ganze Landkreis vier Infizierte – „rechnerisch“. Und laut Bürgermeister lebt keiner davon in Mitterteich.
Laut Landratsamt steigt in den folgenden zwölf Tagen die Zahl der Infizierten um eins, und bis zum 8. Juli stirbt niemand mehr an Covid 19. An dem, was gewesen ist, ändert das nichts. Und auch nicht an den Folgen.
Ein Vierteljahr nachdem Mitterteich in die Schlagzeilen geriet, muss der Journalist zum Arzt, zwei Landkreise weiter. „Oh, Sie kommen ja aus dem Risikogebiet“hört er – es habe nicht wie ein Scherz geklungen. Und nein, er sei da nicht empfindlich. Andere schon. Die Geschäftsfrau beispielsweise, deren hinter der Maske zu erahnende professionelle Freundlichkeit blanker Abwehr weicht bei der Frage, wie es Mitterteich und den Mitterteichern denn nun gehe. Kein Wort werde sie sagen, und auch das Personal habe Redeverbot. Es sei so viel Unfug geschrieben worden. „So viel Mist.“Ein halbes Dutzend Kundinnen hören zu. Keine sieht aus, als wolle sie gegen diese Sicht protestieren.
Das Selbstbewusstsein der wohlhabenden Stadt hat gelitten Der Journalist erzählt später von einem Film, in dem Mitterteich und die ganze Nordoberpfalz hingestellt worden seien wie das hinterste Sibirien. Das habe die Mitterteicher geprägt. Allerdings sei das vor zehn, fünfzehn Jahren gewesen. Exakt war es an einem Oktobersonntagabend im Jahr 1972. Der „Spiegel“schrieb damals, es gehe um „die wirtschaftliche, soziale und biologische Verödung“der Gegend.
Im Frühsommer des CoronaJahres 2020 sagt der Bürgermeister, das Selbstbewusstsein der Stadt habe gelitten. Er fürchtet um die örtliche Ökonomie; an ihr hängt die Stadt – 3 800 sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze, keine Spur von Verödung. Er will nicht unken. Aber er ist ja erst so kurz im Amt. Und er hat wirklich Angst.
Die Frau des Unternehmers sagt, als am 18. März ein Auto durch die Stadt fuhr und alles beschallte mit der Aufforderung, Häuser und Wohnungen nicht mehr zu verlassen, da habe sie gedacht, so müsse sich Krieg anfühlen. Die Frau des Journalisten erzählt, ab da habe sie sich gefühlt, als trüge sie ein Stigma. Und die Frau des Industriemeisters, dass ihre Freundin tags zuvor im Telefonat mit einem Hotel an der Ostsee gefragt worden sei, wo sie herkomme – und dann brüsk abgelehnt. „Wir sind die Gezeichneten.“
Sie klingt rebellisch. Die Stadt aber scheint müde. Auf dem Marktplatz hängen noch immer die selbstgemalten Herzen, mit denen die Mitterteicher sich im März Mut machen wollten, eingeschweißt in Plastik. Verblichen sind sie trotzdem. Wie die Plakate für die Ausstellung im Museum. Nur wegen Corona läuft sie noch. Und ihr Titel ist: Sehnsucht.